Orlando Figes |
Die Flüsterer. Leben in Stalins Russland
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Viele Darstellungen behandeln die sichtbaren Aspekte der stalinistischen Diktatur: die Verhaftungen und Prozesse, die Versklavung und das Morden in den Gulags. Kein Buch hat jedoch bislang die Auswirkungen des Regimes auf das Privat- und Familienleben der Menschen untersucht, den Stalinismus, der uns alle ergriff", wie es ein russischer Historiker einmal formuliert hat. Auf der Basis von Hunderten Interviews mit Zeitzeugen und zahllosen bislang unbekannten Dokumenten liefert nun Orlando Figes in Die Flüsterer erstmals einen unmittelbaren Einblick in die Innenwelt gewöhnlicher Sowjetbürger und zeigt an zahlreichen eindringlichen Beispielen, wie Einzelne oder Familien in einem von Misstrauen, Angst, Kompromissen und Verrat beherrschten Alltag um ihr Überleben kämpften. Für die Zeit der Revolution von 1917 bis zu Stalins Tod und darüber hinaus rekonstruiert Figes das moralische Gespinst, in dem sich die allermeisten Russen gefangen sahen: Eine einzige falsche Bewegung konnte eine Familie zerstören oder am Ende womöglich deren Rettung bedeuten. Keiner konnte sich sicher fühlen, nicht einmal die überzeugtesten Anhänger des Regimes. Wahrheit und Wahn, Schuld und Unschuld waren in diesem Unterdrückungssystem immer wieder auf fatal miteinander verquickt. Orlando Figes' neues Meisterwerk - in seiner erzählerischen Wucht und Aufrichtigkeit vergleichbar mit Grossmans Jahrhundertroman Leben und Schicksal - ist das breit angelegte Porträt einer Gesellschaft, in der jeder nur noch flüstert - entweder um sich und andere zu schützen oder um zu verraten. Ein ebenso schonungsloser wie ergreifender Bericht davon, wie schwach - und wie unvorstellbar stark - Menschen in einer von Paranoia geprägten totalitären Gesellschaft werden können.
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Lukas Fischer
Florian Havemann |
Hermann Henselmann, Architekt, Ost-Berlin
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Lieber Florian Havemann,
vor zwei Wochen kam Ihr neues Buch über Hermann Henselmann.
Ich gestehe, zunächst etwas verwundert die Bindung im wahrsten Sinne des Wortes „erfasst“ zu haben. Aber dann bei näherer Betrachtung: Danke für das tolle Buch, für die wunderschönen Aufnahmen von Lukas Fischer, das Nachwort und die prachtvolle Bindung. Die Berliner Zeitung hat das Werk ja schon ausführlich gewürdigt.
Nachdem ich voriges Jahr die Ausstellung „Macht-Raum-Gewalt“ in der Akademie der Künste gesehen hatte, bei der die Stalinallee nur eine schwarz-weiße Nachbemerkung zur nationalsozialistischen Architektur war, fand ich es bemerkenswert, dass Sie Ihr Nachwort mit Erinnerungen von Speer an Henselmann einleiten. Ihr Buch gibt aber ein farbenfroheres Bild als das in der Akademie. Man versteht besser, warum diese Straße unter Denkmalschutz steht. Ich habe sie erstmals 1960 als Kind besucht, später war ich oft dort in der Jugendmode oder in der Karl-Marx-Buchhandlung, habe an Filmpremieren im International oder Kosmos und natürlich vor und auf der Tribüne an den Feierlichkeiten zum 1. Mai, zum Republikgeburtstag oder bei FDJ-Treffen teilgenommen, letztmalig am 7. Oktober 1989. Meine Frau hat einige Jahre am Straußberger Platz gewohnt und sich sehr wohl gefühlt. Diese Straße war auch ein Symbol des Aufbauwillens in den 1950er Jahren, als man noch nicht glauben wollte, dass diese gewählte Baudimension nicht durchgehalten werden konnte. 1960 wohnte ich noch in einer 1 ½-Zimmer-Wohnung mit Außenklo auf dem Chemnitzer Sonnenberg. Beim Gang durch die Stalinallee durfte man schon mal ein bisschen von einer künftigen Wohnung träumen. Denn es waren ja vor allem Wohnungen, die dort entstanden, keine Prachtbauten für die Repräsentation des Staates, selbst wenn nicht jeder dort einziehen konnte.
Henselmann hat die Eingänge der Straße in West und Ost entworfen und selbst dort gewohnt. In Ihrem Buch HAVEMANN schildern Sie ja noch mehr vom Leben des Architekten und der großen Familie Henselmann-Havemann.
Danke für dieses prachtvolle Buch und die Einblicke! |